Rede zum Antrag "Förderung der Aktivierung und Vermittlung freistehenden Wohnraums"

 

Wohnraum ist wie vielerorts auch in Gießen in den letzten Jahren knapp geworden. Dies führt dazu, dass mittlerweile in zunehmendem Maße Flächen versiegelt und bebaut werden, die für den Erhalt der Artenvielfalt, die Landwirtschaft und nicht zuletzt den Hochwasserschutz immens wichtig sind. Durch die Verdichtung und anschließende Versiegelung geht die ursprüngliche Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens unwiederbringlich verloren. In Deutschland werden täglich etwa 80 Hektar neu versiegelt, die Fläche von mehr als 100 Fußballfeldern.

 

Und daher bedarf es dringend neuer Ideen und Ansätze, um Wohnraum in Gießen zu schaffen.  Ein Ansatz dazu liegt darin, leerstehende oder ungenutzte Räumlichkeiten wieder auf den Wohnungsmarkt zu bringen.

 

Insbesondere viele ältere Menschen leben allein und verfügen entsprechend über leerstehende Wohnräume oder gar Wohnungen/Etagen, die vermietet werden könnten. Aber aus verschiedenen Gründen streben sie  keine Vermietung an:

  • Man kennt niemanden, der in Frage käme und möchte nicht gerne ‚fremde Leute‘ im Haus
  • Die freien Räumlichkeiten sind nicht ausreichend vom eigenen Wohnraum abgegrenzt,
  • Die rechtlichen Belange einer Vermietung erscheinen zu kompliziert
  • Es fehlt eine eigene Klingel/ein zweiter Stromzähler oder anderes

Hier kann die Stadt aktiv unterstützen:

  1. Mit der Schaffung einer Plattform, die Hausbesitzer und Wohnungssuchende zusammenbringt.  Die Stadt fungiert als Vermittlerin, vereinfacht die Vorgänge und gibt so mehr Anreize, sich auf ein neues Mietverhältnis einzulassen. Auch der Aspekt der Sicherheit kann hierdurch erhöht werden, wenn etwa, unter Wahrung des Datenschutzes, vor Zustandekommen einer Vermittlung von Seiten der Stadt ein amtliches Ausweisdokument als Scan verlangt wird.
  2. Mit organisatorischer sowie finanzieller Unterstützung bei der Anpassung von Wohnraum an die Aufnahme eines Mietverhältnisses.

Ein solches Konzept könnte dazu beitragen, mehr Wohnraum in Gießen zu aktivieren, der bisher nicht genutzt wurde, insbesondere für Alleinstehende, Alleinerziehende, Studierende und Auszubildende – und zwar klimaneutral und ohne weiteren Flächenverbrauch. 

 

Doch noch ein weiterer Aspekt  ist wichtig: Denn der demografische Wandel der letzten Jahrzehnte hat dazu geführt, dass ältere Menschen häufig alleine leben. Wie das Statistische Bundesamt gerade bekanntgab, wohnten im letzten Jahr knapp 6 Millionen Menschen ab 65 Jahren allein – das ist etwas mehr als jeder Dritte in dieser Altersgruppe. Kinder und Enkel wohnen nur noch selten im selben Haus, oft nicht mal in derselben Stadt. Dies führt zu einer zunehmenden Vereinzelung der älteren Generation. Zudem benötigen viele Menschen hin und wieder Hilfe im eigenen Haus.

 

Durch die Aufnahme eines anderen Menschen können hier Synergien geschaffen werden – so kann die Anwesenheit eines anderen im Haus Sicherheit geben, der Kontakt aus der Vereinsamung herausführen; und auf der anderen Seite kann z.B. die gelegentliche Betreuung von Kindern für Alleinerziehende eine große Hilfe darstellen.

 

Eine spezielle Plattform der Stadt Gießen würde sich von anderen Wohnungsportalen dahingehend unterscheiden, dass hier

  1. Wohnungen und Zimmer ausschließlich von privat und eher im niedrigeren Preissegment angeboten würden, und daher v.a. für Geringverdiener attraktiv wären
  2. (dass hier) der Aspekt gegenseitiger Unterstützung ein zentraler, wenn auch optionaler, Bestandteil des Wohnens wäre. Im Onlineformular wird neben Quadratmetern, Lage der Wohnräume etc. auch abgefragt, ob bzw. welche Hilfe im Haus benötigt wird und welche Hilfestellungen sich die Wohnungssuchenden vorstellen können.

Die Vorteile der Aktivierung leerstehenden Wohnraums liegen auf der Hand: Die Umwandlung leerstehender Flächen in vermieteten Wohnraum wirkt Flächenfraß und Versiegelung entgegen. Sie fördert die Altenhilfe, unterstützt hilfsbedürftige sowie finanziell schwächer Gestellte, schafft ein generationenübergreifendes Miteinander und trägt durch ihre Ausstrahlung in die Nachbarschaft zur positiven Quartiersentwicklung bei.

 

Ein Änderungsantrag, wie er vorgelegt wurde, der alles Dargelegte auf einen Punkt reduziert, macht unserer Auffassung nach keinen Sinn und kann bei uns keine Unterstützung finden.

 

 

 

Gehalten von Dr. Satu Heiland, Gigg+Volt, im Rahmen der Stadtverordnetenversammlung am 16. Dezember 2021.

Der Antrag wurde von der Koalition auf den ersten Punkt zusammengestrichen und von der Stadtverordnetenversammlung in der geänderten Version angenommen.